In meiner Arbeit als Style Coach begegne ich immer wieder Menschen, die so ähnlich auf die Welt schauen wie ich. Menschen, die Lust haben andere glücklicher und zufriedener mit sich selbst zu machen. Im letzten Herbst bin ich Julia begegnet. Sie hat sich vor einem Jahr selbstständig gemacht – als Aufräumcoach! Ich hatte sofort Lust mehr über diese Frau zu erfahren, die selber so puristisch und strukturiert lebt, wie kein anderer Mensch den ich kenne. Dabei ist sie keinesfalls unfrei oder humorlos. Julia umgibt eine warme, zugewandte Aura. Sie liebt es alles in die perfekte Harmonie zu bringen. Das sagt sie übrigens auch selbst über sich. In diesem Interview erzählt uns Julia, was ein Aufräumcoach so macht und mit welchen Herausforderungen die meisten Menschen zu kämpfen haben. Am Ende gibt sie uns dann noch ein paar sehr hilfreiche Ordnungstipps.
Wie würdest du deine Arbeit als Aufräumcoach beschreiben?
Als Aufräumcoach unterstütze ich meine Kunden dabei, mit weniger Dingen glücklich zu sein. Mein Slogan ist: Leichter leben durch mehr Klarheit und Ordnung. Ich ermögliche es Menschen freier leben zu können, ohne dass sie das Gefühl haben, sie müssen auf etwas verzichten. Nach dem Erstgespräch entwickle ich individuelle Strategien, damit meine
Kunden mehr Freiraum erhalten – im Außen und damit auch im Inneren. Mehr Struktur im Alltag hilft der Großfamilie genauso wie den Mitarbeitern in einem Büro. Das befreit und schafft Raum, um neue Ideen entstehen und Kreativität fließen zu lassen.
Mit welchen Wünschen und Zielen kommen deine Kunden eigentlich zu dir?
Meine Kunden wünschen sich wieder mehr Freiraum in ihrem Zuhause und allgemein in ihrem Leben. Sie kommen auf mich zu, weil ihnen der Überblick über die Dinge fehlt, die sich in ihrer Wohnung angesammelt haben. Wer viel Zeit damit verbringt nach Dingen zu suchen, fühlt sich dadurch gestresst und in der Folge auch überfordert.
Manchmal können sich Kunden nur schwer von Dingen trennen- aus Angst, den Verlust später zu bereuen. Mit einem konkreten Plan zeige ich meinen Kunden wo sie am besten anfangen sollen. Oft fehlt ihnen schlicht die Motivation, weil die Aufgabe einfach zu groß wirkt. Andere möchten zielstrebiger ihre privaten und beruflichen Ziele verfolgen und wünschen sich dafür eine Umgebung, in der sie sich besser entfalten und konzentrieren können. Sie brauchen
eine Veränderung und möchten emotionalen und psychischen Ballast abwerfen. Viele Menschen haben auch einfach den Wunsch minimalistischer, nachhaltiger und einfacher zu leben und nur noch Lieblingsdinge zu besitzen.
Arbeitest du mit einem eigenen System?
Meine Arbeit basiert zum einen auf meiner eigenen grundlegenden Methodik, die für jeden Kunden angepasst wird und zum anderen auch auf einer intuitiven Herangehensweise, bei der ich verschiedene Coaching-Techniken miteinander kombiniere. Ein Aufräumcoaching baut sich meistens wie folgt auf: Zunächst gibt es ein unverbindliches Erstgespräch am Telefon, zur groben Einschätzung von Zeit, Zielen und Aufwand. Wenn alles für beide Seiten passt, dann vereinbaren
wir einen Termin. Bei diesem ersten Termin vor Ort erstellen wir zusammen einen Aktionsplan und finden über
gezielte Coaching-Methoden mehr über den Ist-Zustand heraus, um daraus den erwünschten Zielzustand zu definieren. Beim nächsten Mal wissen wir dann genau, wie die ersten kleinen Schritte zum Ziel aussehen.
Ich bestärke und unterstütze meine Kunden während des gesamten Prozesses. Wenn Zweifel oder Ängste aufkommen, schauen wir uns diese genauer an. Je nach Wunsch begleite ich den gesamten Aufräumprozess.
Menschen lassen sich beim Aufräumen coachen. Diese Entwicklung scheint so etwas wie Zeitgeist zu sein.
Hast du dafür eine Erklärung?
Wir leben heutzutage im Überfluss. Wir können uns alles nach Hause liefern lassen und die Onlineshops und Kaufhäuser überwältigen uns mit einer enormen Auswahl an Konsumgütern zu Dumpingpreisen. Es wird immer mehr, schneller und billiger produziert. Das führt dazu, dass viel schneller Dinge gekauft werden, die wir gar nicht unbedingt brauchen. Die Werbung weckt künstlich Bedürfnisse, die gar nicht aus uns selbst kommen.
Doch zu dieser immer „schneller, höher, weiter“ Bewegung kommt nun die Gegenbewegung. „Langsamer, weniger, grüner“, da wir gemerkt haben, dass ein „mehr“ von allem uns einfach überfordert, stresst und unglücklich macht und auf Dauer ausbrennen lässt. Viele wünschen sich deswegen einen achtsameren Umgang in allen Lebensbereichen und mehr Dankbarkeit. Durch die vielen Entscheidungen im Aufräumprozess kommt die Person viel näher an ihre wahres Sein.
Welchen psychologischen Effekt beobachtest du während deiner Arbeit und welchen danach?
Wenn sich meine Kunden von altem Ballast trennen, machen sie gleichzeitig Platz für Neues. Sie fühlen sich freier, leichter, glücklicher und unbeschwerter. Meistens haben sie dann mehr Lust auf positive Veränderung. Bei dem gesamten Prozess kristallisiert sich immer mehr heraus, was einem im Leben wirklich wichtig ist. Dabei spielt die Anzahl der Dinge keine Rolle, es kommt nur darauf an Unnötiges loszulassen und die Lieblingsdinge mehr wertzuschätzen.
Viele meiner Kunden wollten nach dem Coaching ihren Alltag entschleunigen, bewusstere Kaufentscheidungen treffen, ihre Ernährung umstellen oder ihr Arbeitspensum reduzieren.
Gibt es Hemmungen von Seiten der Kunden? Du hast schließlich einen sehr persönlichen Einblick in ihre Welt.
Bis jetzt hatte ich nicht das Gefühl, dass es da irgendwelche Hemmungen gab. Meine Kunden sind sehr dankbar für die Unterstützung und wünschen sich meistens nichts sehnlicher als die Veränderung ihrer aktuellen Situation. Deswegen sind sie meist offen dafür über ihre Herausforderungen und Rumpelkammern zu sprechen. Meistens hilft dieser Schritt enorm, den ersten innerlichen Prozess des Loslassens anzustoßen, da sie dadurch die Situation anerkennen und nicht mehr länger ausblenden. Ich habe den größten Respekt davor, wenn mich jemand in seine private Welt einlädt und bereit ist für Veränderungen.
Wie gehst du vor, wenn du bei deinen Kunden einen zu vollen Kleiderschrank vorfindest?
Der Kleiderschrank ist manchmal so voll, dass er fast aus allen Nähten platzt. Das ist überhaupt nicht schlimm und ich kann das nachempfinden, denn mir ging es vor ein paar Jahren ähnlich: ein voller Kleiderschrank und trotzdem nichts zum Anziehen.
Wenn wir alles aus dem Kleiderschrank holen, wird uns schlagartig klar, wie viel wir eigentlich besitzen. Diese Methode hilft beim Umdenken. Oft fehlt es an Klarheit in der Schrankordnung und Klarheit bei den Farben, Materialien und dem
individuellem Stil.
Du hast deine 80 Quadratmeter Wohnung gegen eine 50 Quadratmeter Wohnung eingetauscht. Wieso hast du dich voller Vorfreude verkleinert?
Ich liebe Herausforderungen und war neugierig darauf, wie sich mein Glückszustand auf weniger Quadratmetern auswirkt. Mein Freund hat sich zum Glück auch auf dieses Experiment eingelassen. Wir haben uns für eine kleinere Wohnung entschieden weil wir es wollten und nicht weil wir es mussten. Dadurch haben wir nochmal einen viel kritischeren Blick auf die Dinge geworfen, die mit in die neue Wohnung umziehen. Wir haben etwa 40 Prozent unseres Hausrats verkauft oder gespendet- es war ein schönes Gefühl.
Wie sehen deine Pläne für 2020 aus? Wo geht es mit Frei & Raum hin?
Für 2020 möchte ich die 1:1 Coachings noch weiter ausbauen. Außerdem freue ich mich auf meinen ersten Onlinekurs, mit dem ich Menschen deutschlandweit erreichen und dabei helfen kann, ihre Herausforderungen zu meistern. Momentan bereite ich Workshops zum Thema „Weniger ist mehr“ vor, da ich einen Raum für Austausch und Inspiration schaffen möchte. Alle Infos zum 1:1 Coaching und Workshop-Termine werden auf meiner Website und auf Instagram bekannt gegeben.
Julias Top 3 Ordnungstipps
- Jede Sache hat einen festen Platz und kehrt nach Verwendung dorthin zurück.
- Behalte nur die Dinge die dich glücklich machen oder praktisch sind.
- Achtsam shoppen gehen. Wenn du etwas kaufen möchtest, dann schlaf lieber eine Nacht drüber.
Emotionen können uns dazu verleiten etwas in einem Moment dringend haben zu wollen und am folgenden Tag später haben wir dieses Bedürfnis vielleicht vergessen. Kaufe am besten nur
Dinge, die du dir vorher auf einer Einkaufsliste notiert hast. Frage dich vor jeder Kaufentscheidung immer: „Brauche ich das wirklich?“
Schluss mit Fehlkäufen und sinnlosen Dingen die nur im Regal stehen und einstauben.
Wenn du diese drei Regeln verinnerlicht hast, sind in deiner Umgebung bald nur noch Dinge die du liebst und es herrscht eine Grundordnung.
Julia Weber lebt in Berlin. www.freiundraum.de
*Für die Möglichkeit so tolle, aufgeräumte Fotos machen zu dürfen, bedanken wir uns ganz herzlich bei Hornbostel Contemporary – www.ho-co.de